Sonntag, 4. Dezember 2016

SONNTAG IST BALLADENTAG

Knecht Ruprecht

Theodor Storm

Ruprecht:

Habt guten Abend, alt und jung,
Bin allen wohl bekannt genung.

Von drauß' vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sah mit großen Augen das Christkind hervor;
Und wie ich so strolcht' durch den finstern Tann,
Da rief's mich mit heller Stimme an:
»Knecht Ruprecht«, rief es, »alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan,
Alt' und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg ich hinab zur Erden,
Denn es soll wieder Weihnachten werden!«
Ich sprach: »O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo's eitel gute Kinder hat.«
- »Hast denn das Säcklein auch bei dir?«
Ich sprach: »Das Säcklein, das ist hier:
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
Essen fromme Kinder gern.«
- »Hast denn die Rute auch bei dir?«
Ich sprach: »Die Rute, die ist hier;
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
Die trifft sie auf den Teil, den rechten.«
Christkindlein sprach: »So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!«

Von drauß' vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich's hierinnen find!
Sind's gute Kind, sind's böse Kind?

Vater:

Die Kinder sind wohl alle gut,
Haben nur mitunter was trotzigen Mut.

Ruprecht:

Ei, ei, für trotzgen Kindermut
Ist meine lange Rute gut!
Heißt es bei euch denn nicht mitunter:
Nieder den Kopf und die Hosen herunter?

Vater:

Wie einer sündigt, so wird er gestraft;
Die Kinder sind schon alle brav.

Ruprecht:

Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
Lesen und schreiben und rechnen genug?

Vater:

Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft,
Wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.

Ruprecht:

Beten sie denn anch altem Brauch
Im Bett ihr Abendsprüchlein auch?

Vater:

Neulich hört ich im Kämmerlein
Eine kleine Stimme sprechen allein;
Und als ich an die Tür getreten,
Für alle Lieben hört ich sie beten.

Ruprecht:

So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
Probiert einmal von seinen Gaben,
Morgen sollt ihr was Besseres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.
Heut hält es noch am Himmel Wacht;
Nun schlafet sanft, habt gute Nacht.
 


 
Knecht Ruprecht ist ein Gedicht aus meiner Kindheit.
Es war etwas kürzer und ich habe es heiß geliebt.
 


6 Kommentare:

  1. Ja, so wars früher! Der Nikolaus und sein Knecht Ruprecht genossen grossen Respekt.
    Heute stehen sie etwas verloren vor den Einkaufszentren (habe ich gestern so erlebt)und sinnieren am Sinn ihrer Mission herum.
    Danke für das schöne Arrangement.
    Lieben Morgengruss,
    Brigitte

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    1. ich habe noch keinen nikolaus gesehen. da am land sind sie dünn gesät. auch die fassadenkletterer aus plastik sterben aus.
      herzlichgrüße in deinen sonntag

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  2. Ja das waren noch die echten Kläuse... jetzt hängen Abklatsche von ihnen elend an den Hausfassaden oder wie Brigitte1 schon schrieb, stehen sie in billigsten Filzröcken im Dorf herum.
    Früher war nicht alles besser... aber der Nikolaus war es eindeutig!
    Liebe Grüsse in deinen SONNtag
    Brigitte

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    1. ja, sonn-tag ist. und ich werde im wald schauen, ob ein knecht ruprecht unterwegs ist. :-)
      herzlichgrüße in deinen tiertag

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  3. hier war heute morgen keiner im wald
    und das gedicht ist eins der wenigen die ich noch auswendig kann
    aber nur die kurzversion :)))
    allerfeinsten 2. advent
    lg birgit

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    1. auch keinen gesehen. die kurzversion ist ohnedies netter.
      liebe grüße zu dir

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